Herausforderungen und Verweigerung hochbegabter Kinder

Tiefgehende Missverständnisse und unterschätzte Begabungen prägen oft den Weg hochbegabter Kinder. Wir werfen einen ungeschönten Blick auf die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind und die vielschichtige Problematik, hochbegabte Kinder richtig zu verstehen.

Subjektive Wahrnehmung von Hochbegabung

In unserer Gesellschaft und insbesondere bei Lehrerinnen, SchülerInnen und Eltern besteht das Vorurteil, hochbegabte Kinder zeigten immer auch außergewöhnlich gute Leistungen in der Schule. Für viele hochbegabte Kinder trifft dies auch durchaus zu. Eine große Anzahl dieser Kinder entspricht aber gar nicht dieser Vorstellung. Diese Kinder sind anscheinend überhaupt nicht an Kindergarten oder Schule interessiert, haben schlechte Noten und verfügen häufig kaum über soziale Kontakte.

Diese Kinder verbergen ihre besonderen Begabungen, weil sie aufgrund langer Erfahrungen Angst vor Nachteilen haben. Sie haben das Gefühl, von Niemandem verstanden zu werden. Sie befürchten – bewusst oder unbewusst -sozialen Druck von Eltern, Verwandten, Gleichaltrigen, Erziehern und Lehrern und wollen diesen vermeiden.

Durch die fehlende Bestätigung und Anerkennung fühlen sich diese Kinder „falsch“ und entwickeln nur wenig Selbstbewusstsein. Bei Mädchen ist der soziale Druck zur Anpassung aufgrund längst überholt geglaubter, aber dennoch immer existenter Rollenvorstellungen meist höher. Daher werden immer noch sehr viel weniger Mädchen als hochbegabt erkannt, obwohl eine Gleichverteilung der Intelligenz am wahrscheinlichsten ist.

Fröhliche Gruppe von Kindern, die springen
Schüler zeichnet mit Bleistift auf dem Notebook und macht Hausaufgaben

Definition von Hochbegabung

Es gibt zur Zeit keine einheitliche anerkannte Definition, was Hochbegabung eigentlich ist. Allgemein – aber doch sehr unpräzise – lässt sich sagen, dass das hochbegabte Kind Gleichaltrigen auf musischem, sportlichem oder intellektuellem Gebiet weit voraus ist. Während es für musische und sportliche Begabungen in unserer Gesellschaft eine sehr hohe Akzeptanz gibt, trifft dies bei einer intellektuellen Begabung häufig nicht zu. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden.

Begabung ist lediglich ein Potenzial. Um dieses Potenzial in Leistung umsetzen zu können, ist es notwendig, dass die besondere Begabung von Eltern, Umfeld und Schule erkannt und akzeptiert wird und das Kind eine entsprechende Förderung erfährt. Diese zu erkennen, setzt aber das Wissen um Hochbegabung voraus.

Ob ein Kind hochbegabt ist, kann von seinen Eltern, von seinen Erziehern oder Lehrern, von Psychologen oder auch von Kinderärzten herausgefunden werden. Voraussetzung ist aber auch hier das Wissen um Hochbegabung und die Bereitschaft, sie zu akzeptieren. Intelligenztests sind ein Versuch, die Begabung zu messen, und die Entscheidung, ob eine Hochbegabung vorliegt, zu objektivieren.

Beispiele für Verweigerung hochbegabter Kinder

Eltern und LehrerInnen sind meist verblüfft, wenn bei einem Kind, das in der Schule schlechte Noten hat, sitzenbleibt oder zurückgestuft wird, eine Hochbegabung festgestellt wird. Diese Leistungsverweigerung ist meist auf eine lange, von Erwachsenen nicht bemerkte und manchmal von dem Kind gut versteckte Leidensgeschichte zurückzuführen, die im Folgenden an einigen beispielhaften, aber authentischen Szenen aus dem Leben hochbegabter Kinder aufgezeigt werden soll.

Es lässt sich leicht nachvollziehen, dass die dargestellten, immer wiederkehrenden Reaktionen dazu führen müssen, dass das Kind sich von Eltern, Bekannten, anderen Kindern und LehrerInnen nicht verstanden, nicht akzeptiert, nicht so wahrgenommen fühlt, wie es tatsächlich ist. Es hat das Gefühl, es lebe im „falschen Film“.

Die Kinder erkennen – bewusst oder unbewusst – ihre Begabung als Ursache für ihr vermeintliches Problem und fangen an sich zu verleugnen, indem sie Leistungen mit Absicht zurückfahren und ihr Potenzial auf anderen Gebieten „ausleben“ oder alles „in sich hineinfressen“. Einige, häufiger Jungen, spielen den Klassenclown oder werden aggressiv. Andere, häufiger Mädchen, ziehen sich in sich zurück, entwickeln psychosomatische Beschwerden, werden depressiv.

Vater und Sohn streiten über das Lernen zu Hause

Beispiel 1

Ein dreijähriges Mädchen interessiert sich für Zahlen und Buchstaben. Ihre Mutter bremst sie: „Das hat dich noch nicht zu interessieren, das kommt erst in der Schule“.

Beispiel 2

Ein vierjähriger Junge fragt nach der Funktionsweise des Toasters. Eine Freundin meint zur Mutter: „Ich habe zwar auch ein intelligentes Kind, aber die Frage würde ich ihm nicht beantworten, das versteht er sowieso noch nicht“.

Beispiel 3

Eine Großmutter erfährt von den Interessen und Fähigkeiten ihres Enkels. Sie reagiert darauf – ehrlich besorgt: „Ich kannte auch mal einen, der war zu intelligent, der kam dann in die Klapsmühle“.

Beispiel 4

Eine Mutter fragt die Erzieherin, was sie von einer vorzeitigen Einschulung hält, da ihre Tochter liest, rechnet, sich im Kindergarten langweilt und in die Schule möchte. Worauf die Erzieherin nur antwortet: „Gönnen Sie dem Mädchen doch noch das Jahr“.

Beispiel 5

Bei der Einschulungs-Untersuchung lässt die Schulärztin ein Kind, das bereits lesen und rechnen kann, Form und Farbe von Bauklötzen nennen. Als das durch die Unterforderung sichtlich genervte Kind die Bauklötze dann auch noch in vorgestanzte Löcher einordnen soll, sagt es: „Ne, mach ich nicht. Soll’s sonst noch was sein?“. Darauf meint die Ärztin zur Mutter: „Na, besonders helle ist es aber auch nicht“.

Beispiel 6

Ein Mädchen zeigt in Grundschule ihr großes Wissen auf einem Teilgebiet. Anstatt das Mädchen zu loben, sagt die Lehrerin: „Jetzt nimm mal einen großen Schwamm, wisch all das weg, was du schon weißt, und fang von vorne an“.

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